Der Triumph.

Die See war, vom Wind der Vortage aufgepeitscht, noch kabbelig, aber es hatte schon auf Stärke 3 abgeflaut, als die ersten Sonnenstrahlen die Wasserfläche streiften. Die Luft war klar, der Horizont sauber zu erkennen. Die Wache hielt Ausguck nach dem Feind, britische Blockadeschiffe, die die eigenen Versorgungsschiffe hindern sollten, die Heimat mit Handelsgütern und kriegswichtigen Rohstoffen zu versorgen. Das Boot hatte 2 Tage gegen Sturm und schwere See gekämpft, die Klamotten waren klamm, die Mannschaft aber trotz der unruhigen Nacht am frühen Morgen schon hellwach. Otto Weddigen war mit seinem Boot U9 am 19. September von Helgoland mit Ziel, die Kanalenge Dover-Calais zu durchqueren und in der Keltischen See zu operieren, ausgelaufen. Jetzt, am frühen Morgen des 22. September um 5:45, sichtet die Wache von U9 50 km nördlich Hoek van Holland Rauchfahnen am Horizont. Da der Wind den Qualm der Petroleumabgase vor dem Boot hertreibt, lässt Wachoffizier Spieß Zickzack fahren um bessere Sicht zu haben. Dann ist es schnell klar: Die Rauchsäulen und Mastspitzen gehören zu drei schweren Einheiten. Ohne Zerstörer, bei halbwegs ruhiger See, laufen drei feindliche Panzerkreuzer direkt auf U9 zu. „Boot klarmachen zum Tauchen!“

David gegen Goliath, so mag einem das Duell anmuten, welches am frühen Morgen des 22. Septembers 1914, knapp 7 Wochen nach Ausbruchs des 1. Weltkrieges, in der Nordsee stattfand. Eigentlich war der Kampf aber noch ungleicher: 1 David gegen 3 Goliaths: SM U9 gegen die britischen Panzerkreuzer „HMS Aboukir“, die „HMS Cressy“ und die „HMS Hogue“.

       

HMS Aboukir   HMS Cressy   HMS Hogue
HMS Aboukir   HMS Cressy   HMS Hogue

 

Mit etwa 600 Tonnen, 57,4 m Länge und 29 Mann Besatzung war das U9 für die damalige Zeit zwar ein respektables Boot, aber im Grunde zu Beginn des Krieges schon veraltet. Obwohl erst 1910 bei der Kaiserlichen Werft Danzig auf Kiel gelegt, war seine Maschinenanlage mit etwa 1000 PS über Wasser nicht gerade üppig dimensioniert. Zudem handelte es sich eben um Petroleummotoren, da die leistungsfähigeren Diesel zur damaligen Zeit noch nicht zur Verfügung standen – das erste deutsche Boot mit Dieselantrieb war U19.

Die baugleichen britischen Schlachtkreuzer waren zwar schon etwas älter, zwischen 11 und 13 Jahre, waren aber immer noch eindrucksvoll und respekteinflößend: jedes von ihnen war 144 Meter lang, verdrängte 12.000 Tonnen, hatte 23,3 Zentimeter-Geschütze und 760 Mann Besatzung. Eine tödliche Gefahr für ein kleines U-Boot stellten sie allemal dar. Somit standen die Protagonisten fest, aber welche Umstände verhalfen David an diesem 22. September zum Sieg?

Die alliierten Truppen brauchten wegen der vorwärtsdrängenden deutschen Armee Verstärkung, deshalb sollte ein Expeditionskorps in die belgischen und französischen Häfen überführt werden. Die Kreuzergruppe C der Southern Force der Royal Navy hatte den Auftrag bekommen, im Ärmelkanal etwa auf der Höhe von Den Haag zu patrouillieren – zum Schutz der Truppentransporter und als Teil der Seeblockade, die von Großbritannien gleich nach Beginn des Ersten Weltkriegs gegen Deutschland verhängt wurde. Die Kreuzer durchstreiften ihr Suchgebiet auf parallelen Kursen in anderthalb Seemeilen Abstand voneinander, wendeten und liefen auf Gegenkurs wieder zurück. Ein eingeübtes Standardmanöver aller Flotten.

Das schlechte Wetter machte den begleitenden Zerstörern Probleme, sie konnten bei schwerem Seegang mit den großen Panzerkreuzern nicht mithalten, mussten abdrehen und Häfen anlaufen. Schließlich musste auch das Flaggschiff der Gruppe, die "HMS Euryalus", den Verband verlassen, weil der Kohlenvorrat zur Neige ging. Es blieben die "Aboukir", die "Cressy" und die "Hogue", von Captain John Drummond als dienstältestem der drei Schiffskommandeure befehligt.

Die britische Admiralität und ihre Kommandanten schätzten die Kampffähigkeit von U-Booten nicht besonders hoch ein, so fühlten sich die 3 Goliaths wohl zu sicher. Am Abend des 21. September 1914 klarte das Wetter auf, doch Drummond beorderte seine Zerstörer nicht zurück – eine fatale Entscheidung, die auch dadurch unterstützt wurde, weil im Hafen von Harwich noch ein bißchen muntereres Lüftchen wehte und die Zerstörergruppe es lieber gemütlich hatte und nicht unbedingt auslaufen wollte. U-Boote? Heute? Niemals! Wie hätten sie denn in die Gegend kommen sollen, wenn schon die größeren Zerstörer abdrehen mussten? Außerdem verzichtete Drummond darauf, seine Schiffe Zickzack laufen zu lassen – neben Zerstörern der sicherste und bis dahin – einzige Schutz gegen U-Boot-Angriffe.

Action of 22 September 1914 EN © Wikimedia Commons, Maxrossomachin

Im Grunde muss sich Weddiden entscheiden, welches Schiff er zuerst angreift und nur warten. Die Briten bemerken nicht, dass U9 sich in eine günstige Schussposition auf die in der Mitte laufende Aboukir bringt. Um 6.25 Uhr morgens trifft der erste Torpedo die "HMS Aboukir" backbords und löst eine gewaltige Explosion aus, die Kesselräume laufen voll und das Schiff stoppt sofort. Drummond ruft die beiden anderen Kreuzer zu Hilfe, welche Kurs auf die sinkende Aboukir nehmen. Alle Kommandanten glauben, dass Drummonds Schiff auf eine Mine gelaufen ist. Nur ein Rettungsboot kann wegen der Beschädigungen der Dampfwinden gefiert werden, nach 20 Minuten kentert die Aboukir und sinkt 5 Minuten später.

Captain Robert W. Johnson von der "HMS Hogue" lässt sicherheitshalber nach einem Periskop Ausschau halten, doch nur an seiner Steuerbordseite. Ein Beobachtungsposten hatte zuvor das Periskop der U9 offenbar für ein Stück Treibholz gehalten. Doch Weddigen hat geschickt manövriert und sich durch 2 Wenden auf die andere Seite des Gegners gebracht. Er greift ihn ebenfalls auf dessen Backbordseite mit einem 90 ° Winkelschuss an. Dabei kommt kurz der Bug an die Oberfläche, er wird von der Hogue entdeckt, welche sofort das Feuer eröffnet. Zu spät, zwei Torpedotreffer lassen die Hogue in zehn Minuten kentern und sinken.

Die "HMS Cressy" mit Captain Wilmot Nicholson nimmt Kurs auf die beiden Schwesterschiffe. Um 7.20 Uhr ist U9 nach dem Nachladen wieder feuerbereit und schiesst zwei Torpedos ab, von denen einer danebengeht, der andere nur leichten Schaden verursacht. Nun hat Weddigen noch einen einzigen Torpedo. Er dreht wieder sein Boot und schiesst aus dem vorderen Torpedorohr abermals mit Winkelschuss – Volltreffer. Ohne aufzutauchen läuft U9 ab. Insgesamt 1459 britische Seeleute ertrinken, nur 837 können von einem britischen Fischerboot und den niederländischen Passagierdampfern „Flora“ und „Titan“ gerettet werden. Nach einem Gefecht, welches gerade einmal 70 Minuten gedauert hatte.

Der Freudentaumel in der Heimat war riesig, Weddigen und seine Besatzung wurden frenetisch bejubelt und gefeiert, als sie wenige Tage später im Heimathafen Wilhelmshafen einliefen. Postkarten mit Fotomontagen aller möglicher Boote, die als U9 ausgegeben wurden, waren ein Beststeller, Kaiser Wilhelm II verlieh an Kommandant und Mannschaften Eiserne Kreuze.

Die Führung der Kriegsmarine wechselte ihre Prioritäten, weg von den Großkampfschiffen und hin zum kleinen, preiswerter zu bauenden U-Boot, welches besser als Offensivwaffe eingesetzt werden konnte. Bis hin zu den Konsequenzen daraus – die Versenkung der Lusitania, uneingeschränkter U-Boot Krieg, der Kriegseintritt der USA aus diesen Gründen und letztlich die Niederlage.

 

Alexius WW1 Otto Weddingen           

Weddigen hat das nicht mehr erlebt. Knapp 3 Wochen später versenkte U9 vor Aberdeen den britischen Kreuzer HMS Hawke, Weddigen erhielt dafür den Pour le Mérite. Er bekam Anfang 1915 die U29, auf der ersten Feindfahrt mit dem Boot in die irische See versenkte er vier Frachtschiffe. Beim Rückmarsch aus dem Operationsgebiet um Schottland herum begegnete am 18. März 1915 U29 der Grand Fleet, welche auf dem Heimweg nach Scapa Flow war. Nach einem Fehlschuss auf das Schlachtschiff „HMS Neptune“ wurde sein Periskop von der "HMS Dreadnought" gesichtet, diese nahm Kurs auf den Gegner und rammte U29, das nicht schnell genug auf Tiefe gehen konnte. Das Vorschiff kam für kurze Zeit an die Oberfläche wobei die Bootsnummer ausgemacht werden konnte, dann versank U29.

Schwanengesang.

SM U9 wurde als erstes Boot seiner Klasse (U10, U11 und U12) am 15. Juli 1908 in Auftrag gegeben und in der Kaiserlichen Werft in Danzig auf Kiel gelegt. Der Stapellauf erfolgte am 22. Februar 1910, die Auslieferung am 18. April 1910.  Bei 7 Feindfahrten versenkte es 5 Kriegsschiffe mit 44.173 t und 13 Frachtschiffe mit 8.636 t. Am 12. Januar 1915 wurde der Erste Wachoffizier Johannes Spieß Otto Weddigens Nachfolger. Unter seinem Kommando verlegte U9 in die Ostsee und wurde dort zum Minenleger umgebaut. Sie hatte keine Artillerie mehr, sondern 2 halbrohrförmige Laufmulden seitlich des Oberdecks, die sich achtern vereinigten und 12 Minen an Bord. Spieß kommandierte U9 bis zum 19. April 1916, anschließend wurde es in Kiel als Schulboot eingesetzt. Gemäß dem Waffenstillstandsvertrag von Versailles wurde U9 am 26. November 1918 an Großbritannien ausgeliefert. Es wurde ab Mai 1919 in Morecambe abgebrochen.

 

Kein anderes Boot hat während des Ersten Weltkrieges mehr Kriegsschiffe versenkt.

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